Azerbaijan V – Lonesomeness, here we come!
Der Morgen verlief reibungslos und so machten wir uns zeitnah und ausgeschlafen auf ins Abenteuer Bergbesteigung. Die Distanz zu unserem Zielort sollte nicht allzu weit sein. Von Xacmaz mussten wir erneut durch das Durchgangsstädtchen Quba (siehe auch Teil IV) fahren. Bis nach Xinaliq sind es lediglich 80 km, für die ca. zwei Stunden veranschlagt werden. Die Strecke führt auf und ab durch teils enge Schluchten und Schotterpiste mit starker Steigung – nun sollte sich entscheiden, ob wir mit unserer Nicht-Allrad-Limousine die richtige Wahl getroffen hatten. Einziger Zeitfaktor im Nacken war die Tatsache, dass José heute Nacht – natürlich von Baku – Richtung Deutschland zurückfliegen sollte und ich hoffentlich dort eine Fähre in einer der letzten und vielleicht stark ausgeprägtesten Diktaturen der Welt nehmen sollte (Turkmenistan)… Dazu später mehr.
Über Schnee und Eis… (1)
Nachdem wir Quba also hinter uns gelassen hatten und die zerklüftete Berglandschaft vor uns zu wachsen begann, kamen erste Zweifel an unserem bis dato zuverlässigen vier-rädrigem Weggefährten auf. Die Euphorie über die wundervollen Hänge links und rechts und die hineinstechende Morgensonne überlagerten das schlechte Bauchgefühl. So entstanden auch für mich einmalige Fotos, aber beurteilt selbst (Azerbaijan Galerie):
Die ersten wirklich schmalen Täler versprachen nichts Gutes, waren wir doch erst auf ca. 1400m. Das Dorf Xinaliq liegt auf 2100m. Wir wanden uns also die Berge entlang, bis sich plötzlich vor uns eine Schlucht auftat, welche komplett schneebedeckt war. Erster Impuls gefällig? Na? Wer hat Ideen?
Klar… Aussteigen, Foto machen! Also raus aus dem Auto in Sneakern und am Hang entlang gekrochen zum Fotospot. Im Anschluss entschieden wir uns dazu, nun unser Glück mit dem Auto zu versuchen.
(Nach dem Foto, sollte der tolle Teil der Straße beginnen…)
Über Schnee und Eis…(2)
Mit 5 km/h, also maximal Schrittgeschwindigkeit, lenkte José unsere Limo grazil über den Schnee, welcher bereits teils zu Eis und teils zu Wasser geworden war. Auf der einen Seite bahnte sich durch das Gletscherwasser unter der nah an unserem Auto verlaufenden Abbruchkante ein reißender Fluss seinen Weg durch die Felslandschaft. Dort wollten wir nicht reinfahren. Auf der anderen Seite schoss die Felswand in die Höhe, von der immer wieder Schmelzwasser und Erde hinab in den Fluß flossen. Sachte und mit Gefühl bahnten wir uns mit unserer weißen Limo den Weg von Hügel zu Hügel und von Kurve zu Kurve. Auf einmal sahen wir sprichwörtlich, das Licht am Ende des Tunnels… äh der Schlucht. Die Geschwindigkeit half nicht dabei diesen Prozess zu beschleunigen. Doch am Ende sollte alles gut verlaufen. Da war er! Der Moment, an dem du wieder festen Boden unter den Reifen hast und nur noch 500 Höhenmeter bewältigen musst. Im Anschluss war es, als hätten wir einen neuen Abschnitt in einem Videospiel erreicht. Es eröffnete sich vor uns ein prachtvolles, weites Tal. Idyllische Dörfer klebten an den gelb-grünen Hängen und die Straße war zumindest nah an so etwas wie Asphalt dran.
Das entlegenste Dorf Aserbaidschans:
Alsbald fuhren wir in Xinaliq ein. Ein ruhiges Dorf inmitten eines kleinen Talkessels. Es gibt hier eine Schule und einen Sportplatz und viele Ziegen und Kinder rannten umher. Uns sprach ein netter Herr an (bald sollte er zu einem Burschen werden), dem wir sogleich auf eine Kanne Tee in sein Zuhause folgten. Wir erfuhren, dass er selber zu Besuch in seinem Dorf war. Er “stellte” uns seine Mutter vor – sie war erblindet, was nicht verwundert auf 2100m. Wenn man auf solch Höhe ein ganzes Leben verbringt ohne auf sich achtgeben zu können, sprich ohne Infos, die wir heute haben, dann verbrennen die Augen wortwörtlich. Und so kam es, dass wir mit der Hausherrin keinen wirklich Austausch hatten. Sie tastete sich förmlich von A nach B. Was uns dann wirklich überraschte war, als er uns sein Alter und das seiner Mutter verriet. Schlagartig waren es nicht mehr nur die Augen, sondern der gesamte Organismus, der in Mitleidenschaft gezogen war. Sie war 58 und er 25. Ich zu diesem Zeitpunkt 30, José 29. Wir haben ihn aufgrund seiner Haut und Haare, seines Ganges und ein Stück weit seiner Seele auf 35 geschätzt. Sie, die Mutter, ist jünger als meine Mutter und blieb mir wie meine Großmutter in Serbien in Erinnerung (knapp 90 Jahre alt). Diese Erfahrung beschäftigte uns auf der Rückfahrt. Leider verweigerten sie ein Erinnerungsfoto, da ich sowas äußerst respektiere, kann ich sie euch leider nicht zeigen.
Goodbye Xinaliq
Nach der Tee-Pause, in der wir äußerst zuvorkommend bewirtet wurden, lud uns unser Gastgeber zum “Homestay” ein. Hierzu sei gesagt, dass dies in Xinaliq durchaus üblich ist, da sich viele Dorfbewohner durch den zwar (bzw. glücklicherweise) nicht übermäßigen aber doch regelmäßigen Tourismus, ein zweites Einkommen geschaffen haben. Unser Ziel war jedoch klar: Wir mussten zurück nach Baku und daher lehnten wir dankend ab. Dankend boten wir unseren Gastgebern beim Abschied ein “Trinkgeld” an. Es stellte sich heraus, dass er für die Bewirtung und unseren Besuch wirklich kein Geld haben wollte und lehnte stolz ab. Wir fühlten uns allerdings wirklich gut bewirtschaftet und hatten in der guten Stunde, in der wir bei ihm und seiner Familie zu Gast waren, nicht wenig Tee getrunken. Wir wollten uns dankbar zeigen und immerhin etwas teilen. So kam es, dass er nach ein wenig Diskussion das Trinkgeld doch gerne und dankend annahm. Und so brachen wir auf und machten uns auf den Weg zurück gen Baku.
Die Turkmenische Realität holt mich ein, oder doch nicht!
Herzensziel? Erreicht! Tagesziel Fährhafen Baku? Gaaaaanz weit weg. Laut diversen Informationen im Internet gibt es mehrere Fähren nach Turkmenistan von verschiedenen Häfen ausgehend. Da diese es wohl nicht so sehr mit Pünktlichkeit haben, beschloss ich kurzerhand dort anzurufen. Ich bekam die Information in sechs Stunden nochmal anzurufen. Das war vor sechs Stunden, also rief ich nochmals an. Wieder wurde ich vertröstet. Wir beschlossen also während der späten Heimfahrt den Fährhäfen nochmals telefonisch zu erreichen. Im schlechtesten Fall wäre ich wohl eine weitere Nacht in unseren Stammhotel in Baku abgestiegen. Als super erfahrene Reisende ließen wir uns natürlich von diesem organisatorischem Chaos nicht den Genuss Aserbaidschans nehmen. Bevor wir uns durch die engen Schluchten zurück ins vorherige „Level“ begeben wollten, beschlossen wir nochmal eine kleine spontane Wanderung einzulegen.
Ausflug ins Blaue:
Es war herrlich. Die Sonne schien, der Wind wehte, die Vöglein zwitscherten. Wir parkten das Auto auf einer Wiese und liefen einfach und ohne Ziel den Berg hinauf, bis wir schließlich einen Bergkamm erreichten. Hier und da war es matschig und rutschig, aber auf unserem Rastplatz war nichts dergleichen. Felsbrocken lagen wie abgestellt, um Wandernden ein Pausenplätzchen zu bieten. Wir hatten Brot, Wurst und ein Abschiedsbier mit hochgeschleppt. Das Bier intus machten wir einige posende Erinnerungsfotos. Nach einer Stunde des Tagträumens und Vergessen des Arbeitslebens machten wir uns zum Abstieg bereit. Eine Stunde und ein paar Fotos reicher, stiegen wir in unsere Limo und fuhren zurück zur Küste. Die Schnee- und Matschstraße hinter uns lassend, waren wir verliebt in den Kaukasus, verliebt in Aserbaidschan und seine Menschen. Die schmalen Schluchten waren uns egal geworden und waren für unsere randgefüllten Seelen kein Hindernis mehr.
Abschied und turkmenisches Chaos:
Ich habe lange überlegt, wie ich den Abschied beschreiben soll, da es wohl schon Teil einer neuen Geschichte ist (nämlich der Turkmenistans). Wir fuhren mit unseren Erfahrungen zurück dahin, wo alles begann – der Hauptstadt Baku. In der Zwischenzeit hatte ich am Telefon herausgefunden, dass die südliche Fähre aus der Stadt Elet erst am kommenden Tag abfährt. Da José viele Kilometer zurückgelegt hatte, wollte ich ihm zum einen nicht noch mehr zumuten, zum anderen aber wäre das einem Stranden gleichgekommen, da es dort nichts, absolut nichts gibt und ich abhängig von der Fähre dort in der Einöde hätte warten müssen. So kam es, dass ich beschloss die Fähre aus Baku zu nehmen, die angeblich gegen 22-23 Uhr abfahren sollte. Bevor wir Baku einige Tage zuvor verließen, fuhren wir eine kurze Schleife am Hafen entlang um schon mal den Ort für heute zu kennen. Das kann ich nur jedem raten der Rucksackreisen macht: Man sollte sich direkt nach Ankunft mit der Weiterfahrt auseinandersetzen. Erst recht, wenn diese kritischen Faktoren unterliegt. Warum sage ich kritisch? Turkmenistan kommt Nordkorea gleich. Gerne hier ein wenig stöbern! Das Land erteilt Individualreisenden eine eigenständige Durchreise nur unter Auflagen: maximal fünf Tage-Visum, diese fünf Tage müssen vorher festgelegt werden, also nicht einfach fünf Tage ab Einreise. Darüber hinaus muss das Verkehrsmittel und der Grenzübergang der Einreise vorher festgelegt und bestätigt werden. Meine Ganze Visa-Odyssey mit Turkmenistan könnt ihr im Turkmenistan-Blog nachlesen.
Schließlich erreichten wir den bereits bekannten Fährhafen, wir umarmten uns, glücklich, dieses kleine aber feine Abenteuer gemeinsam begangen zu haben. Josés Google-Maps-Abenteuer zum Airport ging weiter – selber Schuld, wenn man “Autobahnen Anzeigen” ausstellt, haha. Ich holte mir den Ausreisestempel, schüttelte ein paar Hände mit Beamten, ging durch den Zoll an Bord des turkmenischen Dampfers. Ab hier sollte ich einige der prägendsten fünf-Tage meines Lebens erleben…
[…] In Xacmaz kamen wir gegen 20 Uhr an. Es war gerade dunkel, das Hotel hieß Elit Hotel und war eine Art Ressort. Auf eine komische Art schien das Personal mit uns überfordert. Das Zimmer war in Ordnung, eine große Wahl hatten wir heute sowieso nicht mehr. Wir blieben und besuchten das Grillhaus gegenüber des Kreisverkehrs. Dort wurden wir von einem netten aufgeschlossen Burschen bedient, das Essen wie immer köstlich und preiswert. Bier intus schliefen wir ein und bereiteten uns mental auf den kommende Anstieg zum “entlegensten Ort” Aserbaidschans vor – Xinaliq (Teil V). […]