Turkmenistan I – Kim Jong Berdimuhamedow
Turkmenistan. Da lag es vor mir, das Reich Kim Jong Berdimuhamedows. Ich stand alleine auf der Fähre eines turkmenischen Dampfers, der durchs Kaspische Meer von Baku in Richtung einer der letzten geschlossenen Diktaturen der Welt übersetzen sollte. Ich war auf mich allein gestellt. Noch spürte ich Josés Umarmung und wusste, dass mich jetzt eine etwas andere Mentalität als die Aserbaidschanische erwartete. Lest gerne den Aserbaidschan-Blog, hier verlinkt, um zu sehen wie ich hier gelandet war. Bevor die Story weitergeht, erstmal einige Basic-Infos zu Land, Leute und der Organisation. Das ist essentiell um dieses Abenteuer nachzuempfinden. Ich empfehle weiterzulesen, um die Absurdität und das Abenteuer wirklich fühlen zu können. Wer ausreichend Infos über dieses komplizierte Land hat kann natürlich auch zu Teil II fliegen.
Zunächst ein paar harte Fakten:
Turkmenistan liegt zwischen Iran, Afghanistan, Usbekistan, ein wenig Kazakhstan und dem Kaspischen Meer. Die Landschaft ist hauptsächlich durch Wüste geprägt, die Hauptstadt ist Ashgabat (700.000 Einwohner) und das Land hat ca. 6 Mio. Einwohner. Es ist wie seine Nachbarn muslimisch geprägt, jedoch anders als der Iran und Afghanistan sind die Einwohner wie der Name schon sagt turk-stämmig. Sie gehören ethnisch zu den Türken, Azeris, Usbeken, Kasachen und Kirgisen.
(Wikipedia-Eintrag Turkmenistan)
Visa Types:
Es gibt meines Erachtens nur zwei sinnvolle Möglichkeiten Turkmenistan zu bereisen.
1. Touristvisa: …, indem man eine komplett vorgefertigte Tour über einen klassischen Reiseveranstalter bucht, dann wird einem die Organisation (Hotelbuchung, Flüge, Visum, Transfer) abgenommen. Man bekommt natürlich einen turkmenischen Guide aus dem Secret Service an die Hand. ($$$$$ = hab ich nicht)
2. Transit-Visa: Eingeführt, da es wahrscheinlich viele Devisen ins Land bringt und viele Individualreisende gerne dieses Land durchqueren wollen. Das Transit-Visum ist maximal fünf Tage gültig und unterliegt einigen Restriktionen, ist jedoch die einzige Möglichkeit ohne Führer/Guide das Land zu bereisen. ($ = hab ich)
Visa Anforderungen
Man beachte das einsame kleine ($)-Zeichen. Also genau das Richtige für mich! Auf einen Aufpasser hatte ich eh keine Lust. Probleme mit dem Visum? Naja, man muss folgendes beachten: Anders als die meisten Visa, ist es nicht fünf Tage ab Einreise gültig, sondern für vorher festgelegte fünf Tage, sprich man muss sich 100%ig sicher sein, wann man einreist. Darüber hinaus muss das Verkehrsmittel der Einreise, die gesamte Reiseroute und der Grenzübergang im Vorhinein festgelegt werden. Das Formular zur Einreise findet ihr hier. Man muss dies mit dem Zusatzformular und einer Reiseplanung (eine DinA4-Seite, weshalb und wie man das Land bereisen will und wie lange, etc. – direkt an den Konsul/Botschafter adressiert) an die Botschaft/Konsulat entsenden. Alles gar nicht so einfach, wenn man keine Fährtickets vorher buchen kann wie ihr in Teil II lesen werdet. Ich habe fürs Visum die Vertretung Turkmenistans in Frankfurt am Main nehmen müssen. Es existiert auch eine in Berlin. Euer Wohnsitz ist relevant für die Auswahl der Vertretung. Die Bearbeitungszeit sind (theoretisch) ca. zwei Wochen.
Being flexible!
Natürlich hat das hinten und vorne nicht gepasst mit den angegebenen zwei Wochen. Ich rief also in FFM nach ca. drei Wochen an. Unser Flug nach Aserbaidschan ging schließlich schon in zehn Tagen. Alle Unterlagen sind richtig, wurde mir versichert. Der Prozess ist wie folgt: Nach vollständigem Erhalt und Einsicht der Unterlagen werden diese gescannt an das Immigration Office in Ashgabat, der Hauptstadt Turkmenistans, gesendet. Diese übermitteln dann sprichwörtlich grünes Licht – oder eben auch nicht. Und die arbeiten eben nach ihrem Tempo. So kam der Travel-Exodus immer näher und wurde Realität, weshalb ich kurzfristig meinen Reisepass zurückforderte. Das Pass kam exakt einen Tag vor Abflug und ich flog ohne turkmenisches Visum nach Aserbaidschan. Was war die Alternative? Naja, man kann via Email eine PDF erhalten. Sozusagen das bestätigte Visum mit Einladungsschreiben und dieses bei der Einreise vorzeigen, um das echte Visum dann am Grenzübergang zu erhalten. Darauf hoffte ich. Am zweiten Tag in Baku rief ich das turkmenische Konsulat in FFM erneut an. Die Mitarbeiter bestätigten mir, dass die Email gerade rausgegangen sei, und siehe da… im Spamfilter befand sich besagtes Dokument! José und ich stießen mit einem Gin Tonic in Baku an – darauf, dass ich alleine in diese extrem ausgeprägte Diktatur reisen darf. Yippie!
“Warum sollte man da hinreisen?!”
Warum da hin? Irgendwie habe ich mir diese Frage auch und doch nie gestellt. Mich ziehen diese Orte an. Ich will wissen wie die Atmosphäre ist. Ich will ein Gefühl für die Menschen entwickeln, die in solche Ländern leben.
Bei Turkmenistan regen sich bei den meisten Menschen keinerlei Gefühle. Bei Nordkorea schrecken alle auf, aber warum eigentlich?
Nordkorea hat (angeblich) Atomwaffen. Turkmenistan hat Rohstoffe und ist deswegen unser “Partner” (in crime). Das Land wird seit der Unabhängigkeit im Oktober 1991, also kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion absolutistisch geführt. Der Mann, der das Land in die Unabhängigkeit führte, heißt Saparmyrat Nyyazow und verstarb 2006. Sein Konterfei ist omnipräsent, man kennt dies aus China oder Filmen, die in der Hitler- oder Stalinzeit spielen. Das spannendste und zugleich witzigste, was man wissen sollte ist, dass er Verfasser der turkmenischen Bibel ist. 😉
Die Ruhnama:
Ihr habt richtig gehört – der turkmenischen Bibel! Ich laufe Gefahr, nie wieder nach Turkmenistan einreisen zu dürfen. Will ich das? Die Frage beantworten die kommenden Kapitel. Zurück zur Ruhnama. Die Ruhnama ist ein Buch, das der Präsident höchstpersönlich geschrieben hat. Es ist zugleich Verhaltenskodex und Gesetzbuch. Ebenso legt der Inhalt des Buches dar, weshalb er und kein anderer Präsident sein sollte. Ad absurdum werden die Inhalte abgefragt. Zum Teil müssen Auszüge auswendig wiedergegeben werden, um eine Hochschulzugangsberechtigung zu erhalten oder den Führerschein. Ihr solltet euch das mal vorstellen, man müsste Merkels Memoiren und Gebote auswendig kennen, um bei einer Polizeikontrolle den Besitz seines Führerscheins zu rechtfertigen. Wenn ihr das noch nicht skurril genug findet, dann nehmt das! Um mit dem rohstoffreichen Land einen “Deal” auszuhandeln, nutzen die Machthaber Turkmenistans Ihre absolutistische Macht auch gegenüber internationalen Konzernen aus. So schlug man Siemens unter anderem vor, man könnte die turkmenische Bibel doch im Rahmen eines Deals von Siemens ins Deutsche übersetzen lassen, sodass wir hier auch in den poetischen Genuss der Diktatoren Zentralasiens kämen. Kein Witz, das war keine Frage oder Bitte. Das war Teil des Deals, welches es von Seiten Siemens zu erfüllen galt. Keine Übersetzung = kein Marktzugang. Jetzt wisst ihr, wieso ihr das Buch auf Englisch und Deutsch bei Amazon findet.
Verbot, aber selber aktiv…
Nyyazow starb 2006 und sein Nachfolger Gurbanguly Berdimuhamedow regiert seitdem mit eiserner Hand. Freies Internet ist natürlich verboten. Facebook, Google, Youtube, Whatsapp – Nope, könnt ihr knicken. (Oder vielleicht doch nicht, dafür müsst ihr Teil II lesen)
Selbstredend ließ sich der Nachfolger der legendären Ruhnama nicht nehmen ein eigenes Buch zu schreiben. Er verfasste quasi die Fortsetzung. Aber viel spannender ist sein Weihnachtssong und der neue Rapsong mit seinem Enkel, bei Youtube ein Hit – und ich damit offiziell für immer ausgewiesen.
Einreiseprozess:
Ich möchte die Fährfahrt nicht vorwegnehmen, aber um den organisatorischen Teil abzuschließen sei soviel gesagt: Am Grenzübergang lief insofern alles reibungslos, als dass ich für jede Kleinigkeit nochmal bezahlen musste. Auch für das Visum! Das Visum kostete 50€, welche ich auf ein deutsches Bankkonto vorab bezahlt hatte. An der Grenze wurde mir dargelegt, dass es angeblich nur für das Dokument war. Wenn man mutig ist und vor allem ausdauernd, legt man sich in die Halle und protestiert still. Ich zahlte nach einer Stunde des stoischen Sitzens 55$ (+ extra 10$ Kopiergebühr) und konnte einreisen. Welcome to Corruptionland!
Ihr seht, die Organisation ist schon ein Abenteuer für sich gewesen, die Fährfahrt und Einreise werden noch spannender, denn ab hier gibt es kein Zurück mehr, Vodka und Abzocke inklusive – einfach Teil II reinziehen!
(Turkmenische Fähre auf dem Kaspischen Meer)